Wenn der Grill zum Politikum wird – Theatergruppe Schattenlichter bringt „Extrawurst“ auf die Bühne“
Aus: Berliner Woche (9.1.2023)
Autorin: Karla Rabe


Im Prime Time Theater in Berlin-Wedding gibt es nicht nur alle paar Wochen eine neue Folge der Soap „Gutes Wedding Schlechtes Wedding“, sondern immer mal wieder auch ein abgeschlossenes Theaterstück.
Diesmal sahen sich vier Schattenlichter zur Primetime (20:15 Uhr) „Schöller macht rüber“ an. Im Mittelpunkt der tiefsinnigen Handlung steht der biedere Staubsaugervertreter Schöller, der Ende der 1980er-Jahre im Wedding nicht so recht Fuß fassen kann, weil er nicht so durchgeknallt ist wie die Eingeborenen.
Also macht er rüber: Durch einen Tunnel gelangt er nach Ost-Berlin, wo er in einer angeblichen Irrenanstalt die Verhaltensweisen der Insassen studieren möchte, um dann erfolgreich in den Wedding zurückkehren zu können.
Natürlich geht dabei einiges schief, und dann fällt auch noch die Mauer.
Mit Songs und Special Effects gespickt, ist die Story so irre wie lustig und kurzweilig. Auch die Darsteller können sich manchmal das Lachen nicht verkneifen.
Wer nicht gerade Shakespeare erwartet, kommt bei „Schöller macht rüber“ sicherlich auf seine Kosten. Und auch die Pausenatmosphäre ist im Prime Time Theater immer prima. Einlass ist schon ab 18 Uhr. Und dank Corona gibt’s inzwischen online Platzkarten – ganz wie bei den Schattenlichtern.
Wir empfehlen: Hingehen! Es gibt noch zwei Vorstellungen – heute und morgen. Eine irrere Art, das alte Jahr abzuschließen, gibt es nicht!
Gerade war sie noch als Wessi-Tussi in „Linie 1“ zu sehen, schon steht sie in Zentrum eines anderen Theaterstücks des GRIPS Theaters: Lisa Klabunde.
Diesmal ist es keine typische Berlin-Story; das Stück „SELFIE“ könnte sich heutzutage fast überall in der modernen Gesellschaft zutragen:
Lily und Emma sind schon ewig beste Freundinnen. Fast genauso lange schwärmen Emma und Lilys Bruder Chris füreinander. Auf einer Party, wie sie die Schule noch nicht erlebt hat, kommen sich die beiden näher. Doch an das, was in der Nacht passiert ist, hat Emma am nächsten Tag keine Erinnerung mehr. Statt glücklich verliebt zu sein, weicht sie Chris und Lily aus.
Als dann auch noch die Polizei beginnt, Fragen zu stellen, entsteht Unruhe in der Schule. Und auch Lily ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Loyalität zu ihrem Bruder und der Freundschaft zu Emma. Doch dann postet sie ein Foto, das die Gerüchte über die Partynacht erst so richtig anfeuert.
Was ist Einvernehmen? Wo beginnt Zustimmung? Bei einem Pic, das ich in den Social Media poste? Bei einem Kuss? Ist kein „Nein“ automatisch ein „Ja“?
In SELFIE gibt es keine schlimmen Absichten und trotzdem einen Übergriff. Das Dreipersonenstück erzählt mit viel Fingerspitzengefühl von der Begegnung zweier Jugendlicher, die der Anfang einer wunderbaren Liebesgeschichte hätte werden können. Stattdessen müssen sie sich Fragen zu Selbstbestimmung und Schuld stellen.
Fünf Schattenlichter haben das Stück gestern Abend auf der Zweitbühne des GRIPS Theaters in der Klosterstraße 68 gesehen und waren begeistert.
Für Samstag, den 3. Dezember, sowie mehrere Termine im Januar gibt es noch Karten.
Vor vier Jahren spielten die Schattenlichter „Der Vorname“, ein kurzweiliges und anspruchsvolles Theaterstück des französischen Autorenduos Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière. Noch im selben Jahr kam der gleichnamige Film des erfolgreichen Komödienproduzenten Sönke Wortmann in die deutschen Kinos – mit der Starbesetzung von Christoph Maria Herbst, Caroline Peters, Florian David Fitz, Janina Uhse, Justus von Dohnanyi und Iris Berben. Nicht nur für die Schattenlichter war der Kinofilm ein Genuss.
Heute lief „Der Nachname“ an, diesmal nicht vom französischen Autorenduo verfasst, sondern von Wortmanns Drehbuchautor Claudius Pläging, der auch die Stückadaption von „Der Vorname“ fürs Kino schrieb.
Da dasselbe Schauspieler-Team zum Einsatz kommt, knüpft der Kinozuschauer problemlos an die bekannte Geschichte an und erinnert sich schon nach fünf Filmminuten wieder an sämtliche Macken und Konflikte der vertrauten Personen.
Seit sich die Familie darüber stritt, ob „Adolf“ heutzutage ein akzeptabler Vorname ist, sind einige Jahre verstrichen. Man trifft sich im Ferienhaus der Familie auf Lanzarote wieder, wo die 68-jährige Familienmutter ihren Kindern und deren Partnern eröffnet, dass sie ihren Adoptivsohn Claude geheiratet hat. Das alleine sorgt schon für Verstimmung, aber es kommt noch ärger: Sie hat ihren Familiennamen „im Stich gelassen“, um den Namen des 30 Jahre Jüngeren anzunehmen …
Im Laufe des Abends dämmert ihren Kindern, dass sich Claude durch die Heirat einen großen Teil des Erbes gesichert hat: zum einen als Adoptivsohn, zum anderen als Ehemann. Das war’s dann wohl mit dem Ferienhaus …
Hinzu kommen noch dermaßen viele weitere Verwicklungen, dass man meinen könnte, die Haschkekse wurden nicht nur in der Filmhandlung im Übermaß verzehrt (nette Szene!), sondern auch beim Drehbuchschreiben.
„Der Nachname“ ist um einiges weniger intellektuell als „Der Vorname“, weil sich über weniger Substanzielles gestritten wird. Aber wen dies nicht stört, der wird einen sehr lustigen Abend verbringen!
Was sich die Schattenlichter nun fragen: Wer erstellt die Theaterfassung zum Film?
Mit Kultur und Corona ist das ja so eine Sache. Da schenkte jüngst ein Schattenlicht einem anderen zum Geburtstag Theaterkarten – für einen Besuch beider Familien zusammen im GRIPS Theater. Die schenkende Familie konnte dann allerdings gar nicht an der Geburtstagsparty teilnehmen – wegen Corona. Und als gestern der Theatertermin nahte, mussten die Beschenken ihre Karten weitergeben – wegen – Ihr werdet es schon ahnen – Corona!
Hoffentlich ist das kein Vorgeschmack auf den bevorstehenden Herbst und Winter mit der – ich komme beim Zählen gar nicht mehr mit – achten Corona-Welle oder so.
Wenn man die Umstände bedenkt, kommt es immer wieder einem Wunder gleich, dass unsere schöne Berliner Kulturlandschaft immer noch am Leben ist. Und so soll es auch bleiben! Also weiter unverzagt planen, vorfreuen, Karten kaufen und im Notfall eben auch mal umtauschen …
Gelohnt hat es sich gestern in jedem Fall: Das GRIPS Theater war wieder einmal ausverkauft – zur 1.958. Vorstellung des Berlin-Musicals „Linie 1“. So intensiv wie gestern haben wir die Vorführung lange nicht erlebt. Das Schauspielteam spielte mit einer Intensität und Freude, die sich schon ab der ersten Szene aufs Publikum übertrug. Dietrich Lehmann als Hermann schmetterte seinen legendären Song „Herrlich zu leben“ mit großer Stimmgewalt. Er war ja schon immer toll, seit der Premiere im April 1986, wird aber immer noch besser! Unglaublich!
Charmant ist auch die Einleitung ins Stück, die seit der coronabedingten Linie-1-Pause dem Musical vorweggestellt wird: Da wird man eingeführt ins West-Berlin der 1980er-Jahre, und es wird erklärt, dass auf der Bühne alles so gespielt wird, wie es schon 1986 der Fall war. Ein hilfreicher Hinweis für alle, die das Stück zum ersten Mal sehen.
Zu erwähnen ist auch Claudia Balko, die bereits seit Jahrzehnten am GRIPS ist, die gestern aber zum ersten Mal in Rollen wie „Bouletten-Trude“ zu sehen war. Gut gemacht!
Wie sagt ein altes westberliner Sprichwort: Nach „Linie 1“ ist vor „Linie 1“. Der Spielplan ist auf www.grips-theater.de schon bis Ende Januar 2023 veröffentlicht. Da gibt’s neben vielem anderen Vielversprechenden auch einige Termine von „Linie 1“. Und manchmal werden ja auch kurzfristig Plätze wieder frei …