Eine Zeitreise ins West-Berlin der 70er

Eine Zeitreise ins West-Berlin der 70er

Gestern begaben sich vier Schattenlichter auf eine Zeitreise in die 1970er-Jahre in West-Berlin: Das Potsdamer Hans-Otto-Theater zeigte mit seinem Schauspielmusical „Rio Reiser — König von Deutschland“ das Entstehen der Rockband „Ton Steine Scherben“. Dabei gab es nicht nur einen interessanten Einblick in die Zeit der Jugendrebellion und Studentenunruhen gegen Staat, autoritäre Strukturen, alte Nazis und Krieg, sondern auch einige Informationen über die Band und ihren Frontman, die zumindest uns noch neu waren.

Wusstet Ihr etwa, dass sich die Band aus dem trubeligen, politischen West-Berlin auf einen Bauernhof in Nordfriesland zurückzog, um dort besser gemeinsam musizieren zu können, sich aber schließlich desillusioniert und hochverschuldet auflöste? Oder dass Marianne Rosenberg und Rio Reiser befreundet waren und die Presse eine Liaison witterte, da nicht jeder mitbekommen hatte, dass Rio Reiser homosexuell war? Dass die großen Erfolge wie „König von Deutschland“ und „Alles Lüge“ erst in Rio Reisers Solokarriere entstanden? Und dass Rio Reiser nach der Wende die PDS unterstützte, was vielen Fans und Radiosendern missfiel?

Das Musical im Hans-Otto-Theater entwickelte sich im Laufe des dreistündigen Abends immer mehr von einem Bühnenstück zu einem mitreißenden Rockkonzert, da die Musiker und Sänger alles gaben und ein Hit auf den nächsten folgte. Sehr bemerkenswert war die Leistung des Reiser-Darstellers Moritz von Treuenfels, der schauspielerisch und singend gleichermaßen überzeugte. Als Fans der „Tschick“-Inszenierung freuten sich die Schattenlichter auch, den Tschick-Darsteller Eddie Irle nun als Fahrer von Rio Reiser und in diversen anderen Rollen wiederzusehen.
Am besten gefielen den Schattenlichtern die unterschiedlichsten Kostüme und Perücken, von denen das Hans-Otto-Theater einen unendlichen Fundus haben muss. Wahrscheinlich hat man in Potsdam einfach mehr Lagerfläche als in Berlin …

Unser Tipp: Unbedingt versuchen, Restkarten zu bekommen – für die letzten Vorführungen am 22. Mai und am 27., 28. und 29. Juni 2018. Oder, wenn’s nicht klappt, einfach mal wieder ins Hans-Otto-Theater gehen und gucken, wo Moritz von Treuenfels mitwirkt. Beispielsweise gibt es einen Auftritt „Rio Reiser unplugged“ am Samstag, 30. Juni, um 21 Uhr im Rahmen des Festivals „Stadt für eine Nacht“ im Neuen Theater/Glasfoyer – mit Rio Reiser und einem Musiker.

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König von Deutschland

König von Deutschland

Gestern begaben sich vier Schattenlichter auf eine Zeitreise in die 1970er-Jahre in West-Berlin: Das Potsdamer Hans-Otto-Theater zeigte mit seinem Schauspielmusical „Rio Reiser – König von Deutschland“ das Entstehen der Rockband „Ton Steine Scherben“. Dabei gab es nicht nur einen interessanten Einblick in die Zeit der Jugendrebellion und Studentenunruhen gegen Staat, autoritäre Strukturen, alte Nazis und Krieg, sondern auch einige Informationen über die Band und ihren Frontman, die zumindest uns noch neu waren.

Wusstet Ihr etwa, dass sich die Band aus dem trubeligen, politischen West-Berlin auf einen Bauernhof in Nordfriesland zurückzog, um dort besser gemeinsam musizieren zu können, sich aber schließlich desillusioniert und hochverschuldet auflöste? Oder dass Marianne Rosenberg und Rio Reiser befreundet waren und die Presse eine Liaison witterte, da nicht jeder mitbekommen hatte, dass Rio Reiser homosexuell war? Dass die großen Erfolge wie „König von Deutschland“ und „Alles Lüge“ erst in Rio Reisers Solokarriere entstanden? Und dass Rio Reiser nach der Wende die PDS unterstützte, was vielen Fans und Radiosendern missfiel?

Das Musical im Hans-Otto-Theater entwickelte sich im Laufe des dreistündigen Abends immer mehr von einem Bühnenstück zu einem mitreißenden Rockkonzert, da die Musiker und Sänger alles gaben und ein Hit auf den nächsten folgte. Sehr bemerkenswert war die Leistung des Reiser-Darstellers Moritz von Treuenfels, der schauspielerisch und singend gleichermaßen überzeugte. Als Fans der „Tschick“-Inszenierung freuten sich die Schattenlichter auch, den Tschick-Darsteller Eddie Irle nun als Fahrer von Rio Reiser und in diversen anderen Rollen wiederzusehen.
Am besten gefielen den Schattenlichtern die unterschiedlichsten Kostüme und Perücken, von denen das Hans-Otto-Theater einen unendlichen Fundus haben muss. Wahrscheinlich hat man in Potsdam einfach mehr Lagerfläche als in Berlin …

Unser Tipp: Unbedingt versuchen, Restkarten zu bekommen – für die letzten Vorführungen am 22. Mai und am 27., 28. und 29. Juni. Oder, wenn’s nicht klappt, einfach mal wieder ins Hans-Otto-Text Theater gehen und gucken, wo Moritz von Treuenfels mitwirkt.

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Kishon-Szenen – das wollten wir auch schon mal

Kishon-Szenen – das wollten wir auch schon mal

Vor ein, zwei Jahren diskutierten die Schattenlichter darüber, Szenen des israelischen Satirikers Ephraim Kishon auf die Bühne zu bringen, verwarfen die Idee dann aber zugunsten von „Boeing Boeing“. Dafür sahen sich gestern fünf Schattenlichter an, wie andere mit Kishon auf der Bühne umgehen. Das Fazit: Begeisterung!

Als „szenische Lesung“ beschreibt das Deutsch-Jüdische Theater sein Stück „Kishon: Die beste Ehefrau von allen und ICH“, und das trifft es sehr gut. Rund ein Dutzend Szenen werden im Lauf des zweistündigen Theaterabends präsentiert. Was Kishon aus der Perspektive des Ich-Erzählers geschrieben hatte, ist auf der Bühne geschickt auf einen Schauspieler (Joachim Kelsch) und eine Schauspielerin (Alexandra Julius Frölich) verteilt. Meist spricht die Frau den Text von Kishons Frau, während der Mann den Text von Kishon selbst präsentiert. Zu den Stärken der Inszenierung gehört, dass dieses Muster oft genug durchbrochen wird, um kurzweilig und überraschend zu bleiben; so werden auch die eigenen Kinder, unliebsame Nachbarn und anstrengende Freunde dargestellt. Vieles erfolgt als Lesung, manches auch als Schauspiel, das mit wenigen Requisiten auskommt.

Kishons Frau gewinnt durch diese Darstellung noch mehr an Format, als sie schon beim Lesen der Originaltexte hat. Man freut sich als Zuschauer, die „beste aller Ehefrauen“ endlich leibhaftig vor Augen zu haben, und mit der ausdrucksstarken, immer präsenten Alexandra Julius Frölich ist die Rolle hervorragend besetzt. Kishon hätte seine Freude an dieser Darstellung, ist aber leider im Jahr 2005 verstorben.

Wie sich die Freundschaft zu den Spiegels gestaltet, wie sich die Ehefrau nach einem Kinobesuch selbst finden will und mit einer Krokodillederhandtasche geerdet werden muss, wie die Kishons bei einer Abendeinladung ausgehungert über ein Büffet herfallen oder wie Kishons Kind mit einem Gruselmärchen zum Einschlafen gebracht werden soll — das alles trägt die unverkennbare Handschrift des größten Satirikers des 20. Jahrhunderts und ist anregend und sympathisch dargestellt.

Den Schattenlichtern ist das Deutsch-Jüdische Theater erst seit ein paar Monaten ein Begriff, obwohl es schon 2001 gegründet wurde. Unter seinem langjährigen Intendanten Dan Lahav war es das einzige jüdische Repertoiretheater in Deutschland; es hatte einen Fünf- bis Sechs-Tage-Spielbetrieb und ein festes Ensemble. Nach dem plötzlichen Tod von Dan Lahav stand das Theater vor dem Aus, wurde aber glücklicherweise von einem kleinen, engagierten Team weitergeführt. Als neue Spielstätte konnte das Theater Coupé gewonnen werden — ein gemütlicher Raum mit schätzungsweise 80 Sitzplätzen und einem Café, in dem es sich gemütlich die Pause verbringen lässt. Das Coupé ist verkehrsgünstig am Fehrbelliner Platz gelegen; es befindet sich am Hohenzollerndamm 177 im Gebäude des Bürgeramtes.

Auf dem Spielplan des Deutsch-Jüdischen Theaters stehen pro Monat rund zehn Aufführungen verschiedenster Stücke, oft auch mit Musik (z. B. ein Stück über die Barry Sisters und ein anderes über Friedrich Hollaender, der u. a. die tollen Ohrwürmer für Malene Dietrich schuf).

Bis zum Ende der Theatersaison am 17. Juni 2018 ist noch jede Menge Zeit, um sich jüdische Kultur auf angenehme, unaufdringliche Art näherzubringen: Kishon wird wieder am Freitag, 8. Juni, und am Samstag, 16. Juni, gezeigt, außerdem weist der anspruchsvolle Spielplan bis zur Sommerpause noch weitere sechs Inszenierungen auf, zu finden unter www.djthe.de. Das Theater bekommt derzeit keine Unterstützung des Senats. Karten gibt es unter karten@djthe.de und 0176 72261305.

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Tragischer Abgesang im Theater am Kurfürstendamm

Tragischer Abgesang im Theater am Kurfürstendamm

1902 schrieb der britische Dramatiker John Osborne das Theaterstück „Der Entertainer“: Hauptperson Archie Rice ist der klassische Dauerverlierer, dessen Theater geschlossen wurde und dessen Privatleben ebenfalls den Bach runtergegangen ist.

Regisseur Fabian Gerhardt hat dieses Stück an das Theater am Kurfürstendamm angepasst, das — wie bekannt ist — ja leider in Kürze schließen muss und abgerissen wird. Peter Lohmeyer spielt Archie Rice fast als Alleindarsteller, der als letzter tragischer Rebell auf seiner Bühne kampiert, sich mit dem Publikum unterhält und dabei einige Flaschen Alkohol leert. Er gibt den resignierenden Loser sehr eindrucksvoll, und auch das Näherrücken der Bagger ist omnipräsent. Besonders eindrucksvoll ist ein zehnminütiger Monolog, mit dem Archie — oder Lohmeyer, wer weiß das schon — die Zeit bis zur von der Regie angeordneten Pause totzuschlagen versucht.

Nach der Pause kommen neue Personen ins Spiel, die allerdings erst einmal nur in Archies Erinnerung existieren. Daher treten sie nicht in persona auf, sondern — wie das Theater am Kurfürstendamm es nennt — als Hologramme; dem Laien würde auch die Bezeichnung „Projektion“ genügen. Wie Lohmeyer mit den Personen auf der unsichtbaren Leinwand interagiert, ist originell, optisch interessant und zeitlich perfekt abgestimmt.

Die einzige von den Hologrammen noch real existierende Person, Archies Tochter, tritt konsequenterweise auch noch als leibhaftige Schauspielerin auf die Bühne. Manch einer hätte sich das sicherlich auch für das Hologramm Harald Juhnke gewünscht, wird aber naturgemäß enttäuscht und muss sich damit zufriedengeben, Juhnke — im Vergleich mit Archie — als einen wahren Entertainer präsentiert zu bekommen.

Wir Schattenlichter hatten uns angesichts des Themas darauf eingestellt, als gebürtige Westberliner die eine oder andere Träne des Abschiedsschmerzes oder der Wut zu vergießen. Aber obwohl Lohmeyer auf die Tradition des Hauses und die namhaften Gründer zu sprechen kommt, obwohl der große Harald Juhnke wiederbelebt wird und obwohl der Abriss nahe ist — Wehmut wollte sich nicht so recht einstellen. Vermutlich eignete sich der ständig unter der Gürtellinie kalauernde, ausländerfeindliche Parolen ausstoßende, sexistische und selbstgerechte Archie zu wenig zur Identifikationsfigur. Schade eigentlich!

Lohmeyers schauspielerische Leistung wurde vom Publikum fleißig beklatscht, und auf dem Kudamm empfing ihn am lauen Frühlingsabend ein Freundeskreis mit wohlverdienten stehenden Ovationen. Von daher — und für alle Lohmeyer-Fans sowieso — empfehlen die fünf von der Inszenierung ein wenig erschlagenen Schattenlichter: Hingehen, aber kein typisches Theater-am-Kudamm-Stück erwarten! Und die Taschentücher könnt Ihr getrost zu Hause lassen!

Diese letzte Premiere an der traditionsreichen Spielstätte wiederholt sich noch einmal am Samstag, 5. Mai 2018. Es gibt noch Karten!

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Kleinbürgerliches im Schlossparktheater

Kleinbürgerliches im Schlossparktheater

Während die Schattenlichter nach dem Theaterbesuch nach Hause gehen, fängt der Abend für den Bühnenbildner vermutlich erst richtig an: In Brechts „Kleinbürgerhochzeit“ im Schlossparktheater liegt am Stückende so ziemlich alles in Schutt und Asche — von den Möbeln über die Wände bis hin zum Fußboden der Kleinbürgerwohnung. Da wird das Aufräumen und Wiederherstellen der Bühne eine Weile dauern.

Dabei hätte es der schönste Tag im Leben von Braut und Bräutigam werden sollen … Aber dieses Ziel wurde eindeutig verfehlt: Nicht nur langweilte der Brautvater die Gäste mit unpassenden und endlosen Geschichten, berechnete die Mutter und Köchin die Schlagsahne zum Pudding zu knapp, stritten sich die Gäste, deckten das Geheimnis der Braut auf, sangen zotige Lieder und verließen zum heimlichen Vögeln die Party; auch sind sich am Ende die Brautleute nicht mehr grün. Wenn die Gäste da sind, ist es nicht schön, aber wenn sie gehen, ist der dann beginnende Alltag womöglich noch schlimmer.

Das Stück, ein früher Einakter von Bertolt Brecht, ist 99 Jahre alt. Es hielt damals wie heute dem Bürgertum den Zerrspiegel vor, prangerte Geiz und Doppelmoral an und zeigte ausschließlich unsympathische Charaktere. Sinnbildlich für das Kleinbürgerliche ist das Bühnenbild: ein irrsinnig enger, morscher Kasten, in dem sich die Gäste aneinander vorbeiquetschen müssen, kein Platz zur Entfaltung ist und es so eng ist, dass die Mutter mit dem Essenstablett fast die Gäste erschlägt und die Festredner kaum Platz haben, sich für ihre ohnehin sinnlosen Reden zu erheben. Ebenso sinnbildich sind die Möbel des Brautpaares, die der Bräutigam selbst erschaffen hat: Anfangs sind sie der Stolz von Braut und Bräutigam, doch dann stellt sich heraus, dass am Leim gespart wurde und alles nach und nach zusammenbricht. Dem Kleinbürgertum fehlt das Fundament, der Ehe fehlt die Grundlage.

Dieselbe Inszenierung stand ganze 17 Jahre lang — zuletzt sogar mit demselben Schauspielerteam — auf dem Spielplan der Brecht-Heimatbühne, des Berliner Ensembles. Dort strich es der neue Intendant Oliver Reese vom Spielplan, und nun nahm es Dieter Hallervorden ins Programm seines Steglitzer Hauses auf. Heute war es ausverkauft, und das Publikum wirkte ausnahmslos zufrieden und erheitert. Für die morgige Vorstellung (Sonntag, 15.4.2018, 18 Uhr) gibt es noch Karten. Wir können versichern: Auch in der letzten Reihe sitzt man bequem und kann alles gut sehen und hören.

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Ein ungewöhnlicher Titel

Ein ungewöhnlicher Titel

Im März gehört die Bühne mal nicht dem Theater, sondern den Schriftstellern: Das diesjährige Festival „Literatur: Berlin“ hält vier Wochen lang bis zum 26. März an mehreren Orten in Berlin die unterschiedlichsten Autorenlesungen bereit.

Vier Schattenlichter besuchten eine Lesung des 1969 in der DDR geborenen Schriftstellers André Kubiczek in der Bibliothek am Wasserturm in Prenzlauer Berg, bei der der Autor gemeinsam mit dem Rowohlt Verlag seinen neusten Roman „Komm in den totgesagten Park und schau“ vorstellte.

Warum gerade Kubiczek? Ganz einfach: Über dessen zweitjüngsten Roman hatten wir uns im vergangenen Sommer gemeinsam schiefgelacht. Dort wird — ein bisschen wie bei „Tschick“ — ein pubertierender Jugendlicher von seinen Eltern in den Sommerferien mehrere Wochen lang alleine zu Hause gelassen — mit einem Haufen Geld in der Hand und der Ansage, sich schöne Ferien zu machen. Allerdings spielt Kubiczeks Tschick in der DDR der 1980er Jahre und heißt „Skizze eines Sommers“.

Auf eine ähnlich skurrile und witzig erzählte Handlung darf man sich offenbar auch bei „Komm in den totgesagten Park und schau“ freuen: Beim Festival präsentierte André Kubiczek zu jeder seiner drei Hauptfiguren einen mitreißenden Lesungsabschnitt. Seine Art, eigentlich trostlose und bedrückende Szenen so zu schildern, dass man sich vor Lachen die Seiten halten muss, ist sehr erfrischend und spricht die jüngeren wie auch die älteren Schattenlichter gleichermaßen an — ob es sich um den Kontrollbesuch des Jugendamts oder um den Besuch einer Plattenbausiedlung einer Kleinstadt handelt.

Wie es eigentlich zu dem Titel des Romans gekommen sei, fragt der hervorragend vorbereitete Rowohlt-Lektor den Autor. Kubiczek lacht und sagt: „Das sollte man besser nicht erzählen.“ Natürlich erzählt er es dann doch: Da ein Verlag so gut wie nie den Titelvorschlag der Autoren übernehme, geben sich die Autoren keine große Mühe mit dem Ersinnen von Titeln, sondern geben ihrem Buch lediglich einen Arbeitstitel. Kubiczek mag Lyrik, und so wählte er als Arbeitstitel den Titel eines Gedichts des Lyrikers Stefan George. Und es geschah, was sonst nie geschieht: Der Verlag fand den Titel großartig passend, und so blieb es dann dabei.

Über Kubiczeks „Skizze eines Sommers“ wird an dieser Stelle hoffentlich bald zu lesen sein: Dieses Buch hat es nämlich auf die Bühne des Hans-Otto-Theaters in Potsdam geschafft, wo wir es uns bald ansehen wollen. Potsdam — ein idealer Ort, denn nicht nur wurde dort schon „Tschick“ toll inszeniert, sondern Potsdam ist auch der Schauplatz der Handlung von „Skizze eines Sommers“.
Was die Schattenlichter empfehlen:

  1. Die nächste Lesung von André Kubiczek — und zwar am Donnerstag, 15. März, um 19 Uhr in Leipzig, Schaubühne Lindenfels, Grüner Saal, Karl-Heine-Straße 50
  2. „Skizze eines Sommers“ im Hans-Otto-Theater in Potsdam — an drei Terminen im März und zwei Terminen im April
  3. Viele Lesungen für jeden Geschmack beim Literaturfestival in Berlin — Programm unter www.literatur.berlin
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Emil ist immer noch aktuell

Emil ist immer noch aktuell

Das Musiktheaterstück „Emil und die Detektive“ des ATZE-Musiktheaters sahen die Schattenlichter nun schon zum zweiten Mal. Nun wollen wir nicht unseren Theater-Tipp von 2017 wiederholen – dafür braucht Ihr nur eifrig zu scrollen -, sondern sagen, was uns zusätzlich aufgefallen ist:

  1. Manche Lieder werden zum Ohrwurm, wenn man sie zum zweiten Mal hört. Also sollte man öfter mal ein Stück zweimal sehen.
  2. Wer ein Stück zum zweiten Mal sieht, wird nicht mehr ganz so sehr in den Bann der Handlung gezogen. Dafür hat er mehr Kapazitäten frei, um sich auf die Reaktion des Publikums zu konzentrieren und darauf zu achten, worauf das junge Publikum am meisten abfährt: Am meisten lieben Kinder es, wenn bösen Obrigkeitsmenschen mal so richtig die Meinung gegeigt oder ein Streich gespielt wird. Dann springen die Kinder auf ihren Sitzplätzen auf und nieder und lachen schallend. Sehr beliebt sind auch Szenen, die die Aktivität des Publikums herausfordern: Als Emils Aufrichtigkeit angezweifelt wird, rufen Kinder aus dem Publikum, dass Emil Recht habe, und als ihre Rufe ignoriert werden, rufen sie noch lauter.
  3. Erich Kästner ist immer noch aktuell. Themen wie Freundschaft, Ehrlichkeit und Mut sind zeitlos.

Wir empfehlen nach wie vor: Hingehen! Das Stück läuft im März fünfmal und im April zweimal. Das Theater hat auch andere vielversprechende Titel auf dem Spielplan, beispielsweise ist eine Premiere über die junge Pakistanerin Malala angekündigt.

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Sechs Theaterbesuche in einem Monat …

Sechs Theaterbesuche in einem Monat …

Der Januar übertrifft alles bisher Dagewesene, seit wir diese Theater-Tipps bei Facebook und auf der Schattenlichter-Homepage veröffentlichen: Anfangs fragte ich mich, ob ich wohl oft genug ins Theater gehe, um monatlich einen Tipp schreiben zu können. Und nun sind es in diesem Monat sechs Theaterbesuche! Dazu könnte ich im Januar noch zwei Konzert-Tipps geben, aber zum einen verstehe ich zu wenig von klassischer Musik, um mich darüber öffentlich zu äußern, und zum anderen sind die Schattenlichter ja eine Theatergruppe!

Der vermutlich wirklich letzte Theatergang im Januar führte zwei Schattenlichter der fast ersten Stunde (Gruppenmitglieder seit 1986 und 1988) zu „Marlene“ ins Renaissance-Theater, wo sie allerdings den Altersdurchschnitt auffallend senkten. Das Theaterprogramm versprach Judy Winter, die „in die Rolle der großartigen Diva Marlene Dietrich“ schlüpfen und „im Paillettenkleid und Schwanenmantel ihr Publikum verzaubern“ werde.

Das tat sie durchaus — und, wir zu erwarten war, sehr authentisch und stimmungsvoll. Noch viel besser war allerdings, dass sich die Darbietung nicht auf die bekannten Dietrich-Darbietungen beschränkte: Rund eine Stunde vergeht, bis schließlich die Diva im Paillettenkleid die Bühne betritt. Zuvor lernen wir sie von einer ganz anderen Seite kennen: in der Garderobe, beim Drangsalieren ihrer Assistentin, beim Lesen von Fanpost und Drohbriefen, beim Ausleben von Kontrollzwang und Putzfimmel, bei cholerischen Anfällen und heiteren Telefonaten, schwankend zwischen Egomanie und Selbstzweifeln …

Wir erfahren, dass die Dietrich mit Werkzeug und Glühlampen reiste und durchaus in der Lage war, beides zu bedienen. Und wir werden Zeuge eines Interviews mit der New York Times, das der beste Monolog ist, den ich seit langem im Theater gesehen habe (außer natürlich dem Monolog von Claude in „Der Vorname“; überzeugt Euch selbst vom 22. bis zum 24. Februar).
Dieser ausführliche Blick hinter die Kulissen trägt dazu bei, den darauf folgenden glamourösen Bühnenauftritt von Marlene mit anderen Augen zu sehen — ein raffinierter Kniff der Stückautoren.

Wir empfehlen Jung und Alt: Hingehen — und mit einem Ohrwurm nach Hause gehen! Noch täglich bis 28. Januar sowie am 3. und 4. Februar.

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Ein Arbeiterdichter in einem Gymnasium

Ein Arbeiterdichter in einem Gymnasium

Sobald man eine Schule betritt, kann man etwas lernen. Das stimmt heute Abend auf jeden Fall — und morgen Abend ist gleich noch einmal die Gelegenheit dazu. Denn gerade zeigt der Wahlpflichtfach-Kurs „Darstellendes Spiel“ des Steglitzer Paulsen-Gymnasiums das Stück „Vineta“.

Lernen kann man zum einem vieles über den Autor dieses Stücks, den zumindest die beiden heute anwesenden Schattenlichter nicht kannten: Jura Soyfer. Wie wir erfahren, war er ein Arbeiterdichter, der in den 1930er-Jahren in Wien lebte und Gedichte sowie eine Reihe von satirischen Theaterstücken schrieb — darunter „Vineta“. Soyfers Stücke wurden in Wiener Caféhäusern aufgeführt, die maximal 49 Sitzplätze hatten. Ab 50 Plätzen galt das Zensurgesetz, und da zumindest „Vineta“ kein unpolitisches Stück ist, lässt sich nachvollziehen, warum Soyfer sich in der damaligen Zeit nicht der Zensur aussetzen wollte.

Leider reichte diese Vorsichtsmaßnahme nicht aus: Im März 1938 wurde Soyfer an der Schweizer Grenze verhaftet. Die österreichische Polizei übergab ihn der SS, die ihn ins Konzentrationslager Dachau brachte. Von dort wurde er ins KZ Buchenwald geschickt, wo er im Februar 1939 starb.
Lernen kann man auch allerlei über die Stadt Vineta, die der Sage nach wegen der Verschwendungssucht und wegen der mangelnden Demut ihrer Bewohner vom Meer verschluckt wurde. Dies soll sich — laut Wikipedia — im Mittelalter an der pommerschen Küste zugetragen haben. In Soyfers Stück erzählt ein versoffener alter Seemann die Geschichte, wie er selbst als junger Taucher auf den Meeresgrund sank und unbeabsichtigt in Vineta landete. Das Stück springt in die Vergangenheit; ab nun ist die Szenerie in blaues Licht getaucht, und fischartige Wesen mit Schwimmbrillen und Seifenblasen bestimmen das Bild.

Bis dahin gibt es nichts, was in der Nazizeit hätte zensiert werden müssen. Aber nun geht’s los: Denn die Bewohner Vinetas zeichnen sich allesamt durch sinnloses Tun und durch eine unsagbare Gleichgültigkeit aus. So regelt ein Polizist dauertrillerpfeifend den nicht verhandenen Verkehr, eine Frau wartet auf ein Boot, das „gestern“ gefahren ist, und ein Beamter stempelt sinnlos Papiere. „Wenn Sie morgen nicht kommen können, dann kommen Sie gestern, so zwischen fünf und zwei!“, heißt es. Der tauchende Seemann versucht alles, um die Gleichgültigen aufzurütteln, aber er scheitert an ihrer Willenlosigkeit. Hier Parallelen zur damaligen Gesellschaft und zu den damaligen Behörden zu ziehen, fällt nicht schwer.

Ein wirklich interessanter Theaterabend — kurzweilig und mit nur einer Stunde auch sehr kurz! „Vineta“, am morgigen Donnerstag, 25.1., um 19:30 Uhr; der Eintritt beträgt 4,- Euro, ermäßigt die Hälfte. Angst vor Ausverkauf muss man nicht haben; die Aula des ehrwürdigen Gebäudes ist riesig.

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Einfach mal die Stühle umstellen

Einfach mal die Stühle umstellen

Eine veränderte Perspektive tut immer gut: Das bewies heute die Jugendtheatergruppe der Wilmersdorfer Auen-Gemeinde mit ihrer Aufführung „Der Besuch“, angelehnt an Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. Dieses vermutlich berühmteste Theaterstück eines Schweizer Autors haben die Schattenlichter schon mehrfach gesehen — auf der eigenen Bühne 1989 (drei Schattenlichter von damals sind heute noch in der Gruppe), später im Renassance-Theater, im Schlosspark-Theater und als Schüleraufführung.

Aber erst die Jugendtheatergruppe der Auen-Gemeinde kam auf die Idee, das Publikum rund um einen zentralen Platz zu setzen, auf dem sich das skurrile Kleinstadtgeschehen zwischen Krämerladen und Gasthof abspielt. So fühlt sich der Zuschauer nicht nur als Beobachter, sondern vor allem als Beteiligter, als mitschuldig werdender Bürger der Stadt Güllen.

Das Stück handelt von einer betagten Millionärin, die als mittellose, schwangere 17-Jährige aus dem Ort vertrieben worden war, im Ausland reich wurde und nach 50 Jahren in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um sich an den Menschen zu rächen, die ihr das Leben in Güllen schwergemacht hatten.

Die Handlung der heutigen Aufführung orientiert sich an einer Verfilmung aus dem Jahr 1964, die ebenfalls nur kurz „Der Besuch“ heißt. Auch die Namen der Charaktere lehnen die Wilmersdorfer an den Film an. So heißt Alfred Ill, die große Jugendliebe der heute alten Dame, Sergej Miller. Auch das Ende ähnelt dem der Filmhandlung: Wie Wikipedia verrät, wollte man auch in der Filmproduktion Alfred Ill von den „lieben“ Mitbürgern aus Geldgier umbringen lassen, aber der Produzent, die „20th Century Fox“, bestand auf einem „Happy End“. Was daran „Happy“ ist, muss uns zwar erst noch erklärt werden, aber ein kluges Ende ist es allemal.

Die 16 Jugendlichen meistern das große Stück sehr gut und schaffen es mehrfach, dass sich echte Beklommenheit und Betroffenheit im Publikum breitmachen. Immer wieder rufen Szenen zugleich Lachen und Grauen hervor — genau so, wie der Autor es gewollt hat.

Klug ist es vom Theater-Team der Auen-Gemeinde, die eigentlich alten Bürger der Stadt sowie ihre Besucherin nicht so alt zu machen, wie sie vom Autor erdacht wurden, sondern im mittleren, berufstätigen Alter anzusiedeln. So liegt das Geschehen, an das sich die Besucherin erinnert, nur 20 Jahre zurück. Das heißt, dass die jugendlichen Schauspieler eher 40-Jährige als 70-Jährige spielen müssen, was ihnen naturgemäß leichterfällt. Auch ist die alte Dame doppelt besetzt; die beiden Schauspielerinnen treten abwechselnd auf, bis die alte Dame schließlich so viel Macht gewonnen hat, dass beide Darstellerinnen zeitgleich und mit doppelter Wucht erscheinen. Darauf muss man erst mal kommen!

Die letzte der drei Aufführungen findet am morgigen Sonntag, 21.1., um 19 Uhr statt. Acht Schattenlichter sagen „Hingehen!“ und danken der Auen-Gemeinde für einen kurzweiligen Abend.

Großer Auen-Saal, Wilhelmsaue 118 a, Eintritt frei (Spende erbeten).

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