Vorher den Film angucken!

Vorher den Film angucken!

Uns sind Musicals eigentlich immer zu teuer – warum 100 Euro für ein Ticket ausgeben, wenn man für 30 Euro ein gutes Theaterstück ansehen kann – aber mit einem 40-Prozent-Rabatt lockte uns „Stage Entertainment“ in „Ku’damm 59 – Das Musical“ im ehemaligen Theater des Westens in der Kantstraße.

„Ku’damm 56, 59 und 63“ heißen drei Fernsehstaffeln, die in den Jahren 2016, 2018 und 2021 im ZDF ausgestrahlt wurden. Darin geht es um die strenge Besitzerin einer Tanzschule am Ku’damm, Caterina Schöllack: Sie muss ihre drei Töchter in den 1950er-Jahren alleine versorgen, da ihr Mann nicht aus dem Krieg zurückgekehrt war. Dabei legt sie vor allem Wert auf den Ruf ihrer Familie. Zwei Töchter beugen sich dem Willen der Mutter und machen eine gute Partie: mit einem ältlichen Krankenhausprofessor und einem aufstrebenden Staatsanwalt. Obwohl beide Töchter in ihren Beziehungen unglücklich sind – der konservative Professor hält seine Frau an der kurzen Leine, und der Staatsanwalt interessiert sich für Männer, – wahren sie den Schein, um den Anforderungen der Gesellschaft zu genügen. Die dritte Tochter, Monika, trotzt den Erziehungs- und Verkupplungsversuchen der Mutter und widmet sich ihrer Leidenschaft, dem Rock’n’Roll. Der Vergleich mit ihren zwei erfolgreichen Schwestern liegt ihr dabei trotzdem schwer im Magen.

In Staffel 2, also dem Teil, der in dem aktuellen Musical umgesetzt wurde, kämpft Monika um ihr uneheliches Kind, das ihr auf Betreiben ihrer Mutter gleich nach der Geburt weggenommen wurde und nun bei ihrer kinderlosen Schwester und dem homosexuellen Staatsanwalt aufwächst. Der Staatsanwalt kämpft mit seinen gesetzlich verbotenen und von der Gesellschaft für pervers gehaltenen Gefühlen. Die unglückliche Professorengattin verlässt ihren Mann, bekommt aber ohne sein Einverständnis keine Arbeit und muss sich schließlich prostituieren, um finanziell über die Runden zu kommen. Und Monika arbeitet an ihrer Karriere als Sängerin und Tänzerin mit ihrem Freund Johnny, der mit seinen Erinnerungen ans Vernichtungslager Auschwitz zu kämpfen hat, wo seine gesamte Familie ermordet wurde. Monikas wahre Liebe, Joachim, heiratet indessen aus Pflichtgefühl eine andere Frau, der er sich wegen ihrer Schwangerschaft verpflichtet fühlt, bis herauskommt, dass das Kind gar nicht von ihm ist. Zudem kämpft er damit, der Rüstungsfabrik seines verstorbenen Vaters eine andere Richtung zu geben.

Kurz: Es gibt jede Menge Probleme, und wir waren im Vorfeld gespannt, welche davon auf Musical-Ebene unter den Tisch fallen würden. Das ist ja wie bei der 90-Minuten-Verfilmung eines 500-seitigen Romans: Da müssen ganze Handlungsstränge gestrichen werden, und der begeisterte Leser empfindet die Verfilmung manchmal als etwas flach.

Tatsächlich hat es das Musical geschafft, sämtliche Probleme in die Handlung aufzunehmen. Wir hatten die Filme zur Auffrischung gerade erst an den Vortagen gesehen und waren von der Umsetzung recht angetan. Es war aber nicht zu übersehen, dass die Menschen im Publikum, die die Filme nicht kannten, Schwierigkeiten hatten, der Handlung zu folgen. Das fing schon damit an, dass es keinerlei Exposition gab, also nicht einmal „Es geht um eine Tanzschulbesitzerin und ihre drei Töchter“. Im durch die vielen Nebenfiguren und Tanzenden undurchsichtigen Musicalstab mitzubekommen, wer wer ist und wer mit wem zusammenhängt, war da für Neulinge kaum möglich.

Zwar wurden alle Probleme angeschnitten, aber oft nur am Rande: Auschwitz auf drei Nebensätze zu reduzieren, wird dem Thema natürlich nicht gerecht, und beim schwulen Staatsanwalt war im Musical das Hauptproblem, dass er damit seine Frau betrog, wo es doch vor allem auch darum geht, dass er in dieser Epoche seine Sexualität nicht ausleben durfte und damit seine Karriere gefährdete.

Nun könnte man argumentieren, dass für all das in den 150 Musicalminuten keine Zeit wäre. Zeit wurde aber reichlich für eine neue Hauptrolle verwendet, die es in den Filmen in dieser Form gar nicht gibt: eine erfolgreiche weibliche Filmproduzentin. Im Film „Ku’damm 59“ ist das ein ältlicher Filmproduzent, den sich Caterina Schöllack als standesgemäßen künftigen Ehemann erhofft, obwohl er ihre Tochter begrabscht hat. Das zeigt gut die Abhängigkeiten dieser zwiespältigen Epoche. Die weibliche Produzentin im Musical strahlte hingegen Selbstbewusstsein, Unabhängigkeit und Modernität aus, was nicht dazu beiträgt, das konservative Rollenverständnis der Schöllack-Frauen zu verstehen.

Alles in allem war der Musicalbesuch dennoch ein vergnüglicher und kurzweiliger Abend, denn WIR kannten die Storyline ja, und außerdem gefielen uns viele Gesangsdarbietungen gut, und auch die Choreografien waren einfallsreich und „was fürs Auge“. Und auch Bühnenbilder und Lichteffekte gucken wir Schattenlichter uns ja immer gerne an.

Karten mit 40 Prozent Rabatt gibt es hier.

Der letzte Vorhang fällt am 23. Februar, übrigens auch dem Tag der Dernière des aktuellen Schattenlichter-Theaterstücks.

Eine gute Nachricht für die Fans der toll ausgestatteten „Ku’damm“-Filme erreichte uns in diesen Tagen über die Agentur Filmgesichter: „Ku’damm 77“ wird gedreht, also die vierte Staffel!

Infos teilen: