Karriere oder Moral?

Karriere oder Moral

Oft gehen die Schattenlichter mit dem Hintergedanken ins Theater, ob das dort gezeigte Stück wohl auch für eine Aufführung der Schattenlichter geeignet wäre. Heute Abend im Deutschen Theater war es anders, denn das Stück „Das Dinner“ ist nur für vier Charakterrollen angelegt. Da kann man nur hoffen, dass die Schattenlichter nicht so stark schrumpfen, dass sie auf solche Stücke zurückgreifen müssen!

Ein spannender Theaterabend war es allemal: Es ging um die Frage, wie weit man gehen würde, um den eigenen Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Wie viel vom Fehlverhalten der Kinder vertuscht man, weil das ihren Start und auch den eigenen Karriereweg behindern könnte?

Konkret: Die Brüder Serge und Paul – gespielt von Bernd Moss und Ulrich Matthes – sind in ein Gewaltverbrechen verwickelt. Beim gemeinsamen Essen in einem feinen Restaurant diskutieren die Väter gemeinsam mit ihren Ehefrauen – Maren Eggert und Wiebke Mollenhauer -, wie sie mit dem Problem umgehen sollen. Dabei bewerten alle am Tisch die Situation anders. War es kindliche Naivität, jugendliches Austesten von Grenzen oder ein kaltes Verbrechen, was ihre Söhne da begangen haben? Müssen die Eltern ihre Kinder anzeigen, damit sie zur Verantwortung gezogen werden können? Oder sollte man das Ganze lieber vertuschen, um den Söhnen nicht die Zukunft zu ruinieren? Schließlich war es doch „nur eine verwahrloste Obdachlose“, die zu Tode kam und die wirklich niemand vermissen wird … Und haben nicht auch die Erwachsenen etwas zu verlieren, beispielsweise Serge, der in Kürze Premierminister werden möchte?

Das Stück basiert auf dem Thriller „Angerichtet“ des niederländischen Autors Herman Koch. Die Bühnenfassung inszenierte András Dömötör, der seit 2016 als Regisseur am Deutschen Theater arbeitet.

Die Schattenlichter empfehlen, die Stückeinführung zu besuchen, die 30 Minuten vor der Vorführung angeboten wird.

Während auf der Hauptbühne die Streitgespräche geführt werden, lohnt sich immer auch ein Blick auf die fleißigen Mitarbeiter des Nobelrestaurants, die durch eine Glasscheibe im Hintergrund zu sehen sind. Wie konsequent und intensiv sie zwei Stunden lang in ihren Rollen bleiben, ist bemerkenswert. Sehr amüsant ist auch, wie die ernsten Gespräche der vier Eltern durch das Präsentieren der edlen Köstlichkeiten unterbrochen werden und wie den Bediensteten mehr als einmal das Gespür dafür fehlt, wann die Gäste gerne etwas mehr Privatsphäre hätten.

Sehr originell ist auch die häufig als Projektionsfläche genutzte Trennwand zur Küche, auf der live erzeugte Filme des Tatgeschehens zu sehen sind – teilweise recht albern, aber eine gute Auflockerung der naturgemäß eher ernsten Thematik.

„Das Dinner“ wird wieder am 6. Juni sowie am 10., 17., 18. und 20. Juli serviert.

www.deutschestheater.de

Infos teilen:

Ein zwiespältiger Revisor

Ein zwiespältiger Revisor

Wenn sich die Schattenlichter für ein neues Stück entscheiden wollen, bringen mehrere Gruppenmitglieder ihre Stückvorschläge mit. Durch Abstimmung kommen die drei oder vier geeignetsten in die engere Wahl. Sie müssen von allen Schattenlichtern bis zum nächsten Treffen 14 Tage später gelesen werden.

Da trifft es sich gut, wenn eins dieser Stücke gerade in der Nähe in einem Theater zu sehen ist – in diesem Fall „Der Revisor“ von Nikolai Gogol. Das Schlosspark-Theater zeigt die Komödie in einer Fassung für sieben Schauspielerinnen und Schauspieler. Sechs Schattenlichter fanden sich spontan ein, um auf diesem Weg den Stücktext zu sehen statt zu lesen.

Worum geht’s in diesem 190 Jahre alten Stück? Einem korrupten russischen Stadthauptmann (Frank Kessler) wird die Warnung zugespielt, ein Revisor werde seine Machenschaften inkognito überprüfen. Voller Panik beeilt er sich, sämtliche Missstände zu bereinigen, und instruiert seine Gattin (Krista Birkner) und seine Tochter (Helen Barke) sowie sämtliche Amtsträger (Oliver Seidel und Steffen Melies), den Revisor nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen und ihm eine heile Welt vorzugaukeln.

Als tatsächlich ein unbekannter Reisender (Lukas Benjamin Engel) und sein Untergebener (Oliver Nitsche) im Ort eintreffen, werden sie für den hohen Besuch aus Moskau gehalten – allerdings zu Unrecht! Das Chaos nimmt seinen Lauf …

Es ist erstaunlich, wie aktuell die Komödie nach knapp 200 Jahren immer noch ist. Die Themen Korruption, Machtversessenheit und Egoismus sind unverändert gültig.

Das Schlosspark-Theater versucht in seiner Inszenierung, das Aktuelle des Stücks zu betonen, indem Anspielungen wie „Ukraine“, „Annektieren“ und „Musk“ in den Raum geworfen werden. Gleichzeitig bleiben aber Texte von 1836 unwidersprochen erhalten, beispielsweise dass Frauen froh sein können, wenn sie „nur vergewaltigt und ausgepeitscht“ werden, und die Damen der Handlung sind auf ihre weiblichen Reize reduziert. Für die Schattenlichter wäre eine klarere Positionierung wünschenswert gewesen: entweder eine historische Aufführung oder eine aktuelle.

Regisseur Philip Tiedemann hat sich für starke Überzeichnungen entschieden, die den Schauspielerinnen und Schauspielern viel Engagement und Präzision abverlangen – und die dem Publikum zwei Stunden lang keine Verschnaufpause gönnen. Da wird das Magenknurren des angeblichen Revisors und seines Knappen nicht nur einmal überlaut dargestellt, sondern eine ganze Szene lang. Und so zieht es sich durchs ganze Stück. Das Publikum nimmt es mit gemischten Reaktionen auf: Einige Lacher sind zu hören, andere schütteln fassungslos den Kopf.

Sehr charmant sind das Bühnenbild und die Lichteffekte – vom Wald über das prunkvolle Wohnzimmer des Bürgermeisters bis hin zur schäbigen Absteige der Moskauer Gäste mit abblätternder Tapete.

Wer sich selbst ein Bild machen möchte, hat noch bis zum 27. April Gelegenheit dazu.

www.schlosspark-theater.de

Infos teilen:

Vorher den Film angucken!

Vorher den Film angucken!

Uns sind Musicals eigentlich immer zu teuer – warum 100 Euro für ein Ticket ausgeben, wenn man für 30 Euro ein gutes Theaterstück ansehen kann – aber mit einem 40-Prozent-Rabatt lockte uns „Stage Entertainment“ in „Ku’damm 59 – Das Musical“ im ehemaligen Theater des Westens in der Kantstraße.

„Ku’damm 56, 59 und 63“ heißen drei Fernsehstaffeln, die in den Jahren 2016, 2018 und 2021 im ZDF ausgestrahlt wurden. Darin geht es um die strenge Besitzerin einer Tanzschule am Ku’damm, Caterina Schöllack: Sie muss ihre drei Töchter in den 1950er-Jahren alleine versorgen, da ihr Mann nicht aus dem Krieg zurückgekehrt war. Dabei legt sie vor allem Wert auf den Ruf ihrer Familie. Zwei Töchter beugen sich dem Willen der Mutter und machen eine gute Partie: mit einem ältlichen Krankenhausprofessor und einem aufstrebenden Staatsanwalt. Obwohl beide Töchter in ihren Beziehungen unglücklich sind – der konservative Professor hält seine Frau an der kurzen Leine, und der Staatsanwalt interessiert sich für Männer, – wahren sie den Schein, um den Anforderungen der Gesellschaft zu genügen. Die dritte Tochter, Monika, trotzt den Erziehungs- und Verkupplungsversuchen der Mutter und widmet sich ihrer Leidenschaft, dem Rock’n’Roll. Der Vergleich mit ihren zwei erfolgreichen Schwestern liegt ihr dabei trotzdem schwer im Magen.

In Staffel 2, also dem Teil, der in dem aktuellen Musical umgesetzt wurde, kämpft Monika um ihr uneheliches Kind, das ihr auf Betreiben ihrer Mutter gleich nach der Geburt weggenommen wurde und nun bei ihrer kinderlosen Schwester und dem homosexuellen Staatsanwalt aufwächst. Der Staatsanwalt kämpft mit seinen gesetzlich verbotenen und von der Gesellschaft für pervers gehaltenen Gefühlen. Die unglückliche Professorengattin verlässt ihren Mann, bekommt aber ohne sein Einverständnis keine Arbeit und muss sich schließlich prostituieren, um finanziell über die Runden zu kommen. Und Monika arbeitet an ihrer Karriere als Sängerin und Tänzerin mit ihrem Freund Johnny, der mit seinen Erinnerungen ans Vernichtungslager Auschwitz zu kämpfen hat, wo seine gesamte Familie ermordet wurde. Monikas wahre Liebe, Joachim, heiratet indessen aus Pflichtgefühl eine andere Frau, der er sich wegen ihrer Schwangerschaft verpflichtet fühlt, bis herauskommt, dass das Kind gar nicht von ihm ist. Zudem kämpft er damit, der Rüstungsfabrik seines verstorbenen Vaters eine andere Richtung zu geben.

Kurz: Es gibt jede Menge Probleme, und wir waren im Vorfeld gespannt, welche davon auf Musical-Ebene unter den Tisch fallen würden. Das ist ja wie bei der 90-Minuten-Verfilmung eines 500-seitigen Romans: Da müssen ganze Handlungsstränge gestrichen werden, und der begeisterte Leser empfindet die Verfilmung manchmal als etwas flach.

Tatsächlich hat es das Musical geschafft, sämtliche Probleme in die Handlung aufzunehmen. Wir hatten die Filme zur Auffrischung gerade erst an den Vortagen gesehen und waren von der Umsetzung recht angetan. Es war aber nicht zu übersehen, dass die Menschen im Publikum, die die Filme nicht kannten, Schwierigkeiten hatten, der Handlung zu folgen. Das fing schon damit an, dass es keinerlei Exposition gab, also nicht einmal „Es geht um eine Tanzschulbesitzerin und ihre drei Töchter“. Im durch die vielen Nebenfiguren und Tanzenden undurchsichtigen Musicalstab mitzubekommen, wer wer ist und wer mit wem zusammenhängt, war da für Neulinge kaum möglich.

Zwar wurden alle Probleme angeschnitten, aber oft nur am Rande: Auschwitz auf drei Nebensätze zu reduzieren, wird dem Thema natürlich nicht gerecht, und beim schwulen Staatsanwalt war im Musical das Hauptproblem, dass er damit seine Frau betrog, wo es doch vor allem auch darum geht, dass er in dieser Epoche seine Sexualität nicht ausleben durfte und damit seine Karriere gefährdete.

Nun könnte man argumentieren, dass für all das in den 150 Musicalminuten keine Zeit wäre. Zeit wurde aber reichlich für eine neue Hauptrolle verwendet, die es in den Filmen in dieser Form gar nicht gibt: eine erfolgreiche weibliche Filmproduzentin. Im Film „Ku’damm 59“ ist das ein ältlicher Filmproduzent, den sich Caterina Schöllack als standesgemäßen künftigen Ehemann erhofft, obwohl er ihre Tochter begrabscht hat. Das zeigt gut die Abhängigkeiten dieser zwiespältigen Epoche. Die weibliche Produzentin im Musical strahlte hingegen Selbstbewusstsein, Unabhängigkeit und Modernität aus, was nicht dazu beiträgt, das konservative Rollenverständnis der Schöllack-Frauen zu verstehen.

Alles in allem war der Musicalbesuch dennoch ein vergnüglicher und kurzweiliger Abend, denn WIR kannten die Storyline ja, und außerdem gefielen uns viele Gesangsdarbietungen gut, und auch die Choreografien waren einfallsreich und „was fürs Auge“. Und auch Bühnenbilder und Lichteffekte gucken wir Schattenlichter uns ja immer gerne an.

Karten mit 40 Prozent Rabatt gibt es hier.

Der letzte Vorhang fällt am 23. Februar, übrigens auch dem Tag der Dernière des aktuellen Schattenlichter-Theaterstücks.

Eine gute Nachricht für die Fans der toll ausgestatteten „Ku’damm“-Filme erreichte uns in diesen Tagen über die Agentur Filmgesichter: „Ku’damm 77“ wird gedreht, also die vierte Staffel!

Infos teilen: